Vier fundamentale politische Umbrüche innerhalb weniger Jahrzehnte, ein durch Krieg fast völlig ausradiertes Zentrum, Weltanschauungsschaufenster für Sozialismus und Kapitalismus, zwei (wieder)zusammengeführte autonome Hälften – stets ist die Stadt auf der Suche nach sich selbst, fahndet nach einer neuen Identität. Eine ideales Experimentierfeld für Generationen von Stadplanern und Architekten also, die dabei immer wieder mit denselben Herausforderungen konfrontiert werden: attraktiven, zeitgemäßen und wirtschaftlichen Raum für Wohnen und Geschäft zu schaffen, den überbordenen Verkehr zu domistizieren und – vor allem – ihre persönliche architektonische Duftmarke zu setzen und der Stadt ein individuelles Wahrzeichen zu hinterlassen.
Als Geburtshelfer für die besten Ideen wurden stadtplanerische und architektonische Wettbewerbe ausgeschrieben. Man lud die nationale und internationale Architektenelite ein und erwartete ihre Visionen zur zukünftigen Gestaltung der Stadt oder eines Gebäudes. Auch wenn die meisten der im Rahmen dieser Wettbewerbe entstandenen kreativen Ergüsse nie umgesetzt wurden, so lieferten sie doch viele Anregungen und Visionen für die zukünftige Entwicklung der Stadt. Was hätte aus Berlin werden können? 100 nicht verwirklichte Berlin-Entwürfe aus dem 1907 – 1997 werden in der Ausstellung „Das ungebaute Berlin“ gezeigt. Die Exponate wurden vom Berliner Architekten Carsten Krohn zusammengetragen.
Das Spektrum der gezeigten Arbeiten ist beeindruckend vielfältig – mal schlicht, mal verspielt, mal zurückhaltend, mal monumental, mal sanft, mal rücksichtlos brutal, mal rational und mal bar jeder Vernunft. Dennoch ist man zumeist froh, dass diese Ideen nie die Metamorphose von der papierneren Utopie in die in Beton gegossene Realität geschafft haben. Neben der Nazi-Gigantonomie gilt dies ganz besonders solch spinnerten Vorschläge wie den Zoo und Teile des Tiergartens für einen internationalen Flughafen zu plätten (Sergius Ruegenberg, 1948) oder den – nennen wir es mal geradlinigen – Flügelbau-Entwurf von Daniel Libeskind für die Bebauung des Potsdamer Platzes (1991).
Amüsant wirkt dagegen die Anregung von Rob Herron, im Tiergarten die eingestürzte schwangere Auster durch eine raupenähnliche Konstruktion zu ersetzen. Originell ist auch Peter Eisenmanns futuristischer Geistesblitz für das Max Reinhardt Haus an der Friedrichstraße (1991). Interessant und weitsichtig war die dreidimensionale Planung Le Corbusiers für den Wiederaufbau von Berlins Mitte aus dem 1958 – drei Jahre vor dem Mauerbau – vom Berliner Senat durchgeführten städtebaulichen Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“. Die „grüne Stadt“ des Franzosen besticht auch durch sein sorgfältig ausgeklügeltes Verkehrskonzept, das u.a. den Boulevard „Unter den Linden“ den Fussgängern vorbehielt.
Was immer wieder auffällt: die meisten Entwürfe ignorieren das reale existierende Berlin, blenden es aus. Egal ob Albert Speers megalomanes Germania (1935-1943), Ludwig Hilberheimers sterile Geschäftsstadt hinter dem Gendarmenmarkt (1928) oder die skurilen Senatspläne für ein Autobahnkreuz auf dem Oranienburger Platz – munter werden Schneisen in die Stadt geschlagen, ganze Viertel geopfert zugunsten von Autobahntrassen, Reissbrettstädten und Kuppelhallen. Die Stadt – eine Spielwiese für die globale Architektenelite – der Otto-Normal-Berliner spielt da keine Rolle.
Bemerkenswert auch, dass sich viele der gezeigten Wettbewerbsarbeiten genau mit denselben städtebaulichen Situationen beschäftigen, die auch heute noch im Mittelpunkt der Diskussion stehen: Was passiert mit dem Spreebogen? Wohin geht es mit dem Alexeanderplatz? Was macht man mit der City West? Und was wird aus Tempelhof? Und nach dem Schlossplatz wollen wir mal gar nicht erst fragen.
Die Ausstellung „Das ungebaute Berlin“ wird im Café Moskau, einer noch real existierenden Ikone der sozialistischen Architketur unweit des Alexanderplatzes gezeigt. Im Erdgeschoss werden die Pläne, Skizzen und Holzmodelle gezeigt – leider kaum kommentiert. Zwar liegen dicke Ordner mit Artikeln zu den einzelnen Projekten aus, aber es fehlen hier leider Foto-und Kartenreferenzen, mit denen sich manche Projekte für den Betrachter besser einordnen lassen. Dennoch absoult sehenswert.
Multimedia darf natürlich nicht fehlen: im Untergeschoss zeigt Krohn kurze Filminterviews, die er mit 29 der an den Projekten beteiligten und noch lebenden Architekten geführt hat, darunter u.a. David Libeskind und Peter Eisenmann. Insgesamt eine sehr gelungene Ausstellung, die täglich von 10:00 bis 20:00 Uhr noch bis zum 15. August zu sehen ist – ein Muss für alle Architektur- und Berlin-Interessierten.
Wer es nicht schafft, kann sich den über 300 Seiten dicken Ausstellungskatatlog über den Buchhandel beschaffen, auch wenn der mit 48,00 EUR recht teuer geraten ist (DOM-Publishers, ISBN 978-3-86922-125-0). Viele Abbildungen und die tollen Beiträge von an die hundert Berliner Architekturexperten entschädigen allerdings ein wenig für den hohen Preis.