Wer stets nur in Richtung Westen blickt, wird nicht sehen, was hinter seinem Rücken, also im Osten, geschieht. Und steht. Vielleicht liegt es an dieser simplen Tatsache, dass man in Berlin zwar viel Aufhebens um Baudenkmale der architektonischen Nachkriegsmoderne im Westen der Stadt macht – man nehme mal das Hansaviertel oder die „Schwangere Auster“ als herausragende Beispiele – sich aber wenig oder gar nicht für den Erhalt baugeschichtlich nicht minder bedeutender Objekte aus derselben Zeit in den östlichen Stadtbezirken einsetzt. Dem langsamen Verfall überlassen oder gar dem Erdboden gleichgemacht, verschwinden diese steinernen Zeugen einer Epoche langsam aber sicher – so scheint es – aus dem Stadtbild.
Man mag es glauben wollen oder nicht – die DDR hatte architektonisch weit mehr zu bieten als nur Plattenbau oder Stalingotik. Das nach dem Tod Stalins von der Sowjetunion aus einsetzende politische und gesellschaftliche Tauwetter sowie eine neue, deutlich verjüngte DDR-Führung unter Walter Ulbricht setzten Anfang der sechziger Jahre auch eine Phase des stilistischen Umbruchs in der DDR-Architektur in Gang – weg vom stalinistischen Zuckerbäckerstil á la Frankfurter Allee (damals Stalinallee) und den aufdoktronierten nationalen Traditionen hin zur klaren, einfachen Formensprache der internationalen Moderne.
Fotogalerie „‚Ostmoderne im Schlosspark Schönhausen'“ – Alle Fotos © 2010 Sven Hoch. – Zum Start auf ein Bild klicken!
Sichtbar wurde dieser Wandel in erster Linie bei den zahlreichen repräsentativen Regierungsbauten, die zu dieser Zeit entstanden. Einer der ersten im neuen Stil realisierten Projekte war das zwischen 1962 und 1964 in Berlins Mitte errichtete Staatratsgebäude, entworfen von den Architekten Roland Korn und Hans-Erich Bogatzky. Es setzte Maßstäbe gerade bei der selbstbewussten Einbindung ausgesprochen sozialistischer Kunst in den Baukörper – wie zum Beispiel des berühmten Glasfensters „Aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ von Walter Womacka. Kunst im Stile dieses sozialistischen Realismus sollte zu einem der typischen Merkmale der architektonischen Ostmoderne werden.
Das neue Appartemthaus für Gäste der DDR-Regierung
Mit der Einweihung des Staatsratsgebäudes gab die DDR ihren bisherigen „Regierungssitz“ im Schloss Schönhausen im Berliner Bezirk Pankow auf. Die einstige Sommerresidenz der Preußenkönigen Elisabeth Christine sollte nun zum repräsentativen Staatsgästehaus umgewidmet werden und damit eine überaus wichtige Funktion für den damals um internationale Anerkennung ringenden Arbeiter- und Bauernstaat übernehmen. Allerdings war das Schlossgebäude zu klein, um neben den Staatsmännern auch deren Begleit-Schwärme aus politischen Beratern und Sicherheitsleuten aufzunehmen. Deshalb beschloss man, für die Entourage am südwestlichen Rand des Schlossparkes – noch in Sichtweite des Schlosses – ein Appartementhaus neu zu errichten. Innerlich wie äußerlich sollte diese Gebäude die DDR als modernes, aufgeschlossenes und weltläufiges Land repräsentieren.
Mit der Konzeption des neuen Gästehauses wurde das von Walter Schmid geführte „Architekturbüro 110“ betraut. Ihre Planungen sahen ein Gebäude ganz im Stile der Ostmoderne vor: ein Stahlbetonskelettbau, funktionell und minimalistisch die Formen. Nur horizontale Beton- und Fensterbänder strukturieren die Fassade des Vierstöckers. Auf der dem Schlosspark abgesandten Seite des Hauses, an der die Zufahrt liegen sollte, verspricht ein weit auslandendes Vordach ein großzügiges und weltoffenes Willkommen.
Der darstellenden Kunst räumte Schmids Entwurf großen Raum ein. Wieviel Bedeutung die DDR dem Bau beimaß, zeigt sich daran, dass sich einige der renommiertesten Künstler des Landes an diesem Projekt beteiligten. So setzte der international bekannte Kunstschmied und Bildhauer Fritz Kühn mit seinen aus geätztem Aluminium gearbeiteten Metallverkleidungen glänzende Akzente zwischen die Fensterflächen.
Gleich mit mehreren Werken war auch Walter Womacka vertreten. Direkt über dem Eingangsportal begrüßte sein Emaille-Fries „Tauben mit Weltkugel“ die Gäste und mahnte sie zu friedvoller Politik. Sein Glasfenster mit abstrakten Darstellungen tauchte das Treppenhaus in eines in seiner Intensität je nach Sonneneinfall variierendes, von roten, blauen und gelben Tönen dominiertes Lichtspiel. An der Gartenfassade schließlich fand sich ein gut drei Meter hohes und siebeneinhalb Meter breites Keramikwandbild, das nach Womackas Entwurf „Erde, Wasser, Feuer, Luft“ realisiert wurde. Bemerkenswert ist, dass bei diesem Projekt die sonst vielen Womacka-Werken eigene Verherrlichung des Sozialismus fehlte – vielleicht wollte man die so sehnsüchtig erwarteten internationalen Delegationen nicht gleich mit einer solch unverhüllten Polit-Propaganda empfangen.
Die Gestaltung der Innenräume lag in den Händen des jungen Architekten Hans Hoßfeld, der zuvor bereits mit den Umbaumaßnahmen im Schloss selbst beauftragt worden war. Im neuen Appartementhaus für die Gäste der DDR schuf er im Erdgeschoss unter großzügiger Verwendung afrikanischen Zebrano-Holzes ein edles und repräsentatives Ambiente ganz im Stile der internationalen Moderne. Hier fanden neben Lobby- und Empfangshalle auch mehrere Konferenzräume, zwei Restaurants und ein Filmvorführraum Platz. Die Gäste-Appartements in den drei oberen Stockwerken waren schlichter gehalten, verfügten jedoch über modernste technische Ausstattungen.
Der weite Garten, der das Gebäude umgibt, wurde nach den Ideen des Landschaftsarchitekten Karl Kirchner angelegt. Pergolen säumten die Terrassenflächen auf der dem Schlosspark zugewandten Seite, plastische Elemente und ein Brunnen gliederten den südlichen Teil des Areals. Kirchner verband die verschiedenen Teile des Gartens untereinander und mit dem angrenzenden Schlosspark durch zahlreiche offene Durchblicke und Sichtachsen.
Verfallen und verwahrlost
Von all dem ist jetzt – 42 Jahre nach der feierlichen Einweihung des Komplexes – nicht mehr viel zu sehen. Der Garten ist verwildert, die Sichtachsen zugewuchert, die Pergolen vereinsamt. Womackas Glasfenster ist zerborsten, sein Wandbild mit sinnlosen Graffitis übersprüht. Fritz Kühns Aluminiumplatten hängen ausdruckslos neben blinden Scheiben oder leeren Fensterhöhlungen. Auch Hoßfelds kostbares Zebrano ist beschmiert, an der Wandskulptur in der Lobby fehlen mehrere der quadratischen Holz-Paneele. Die Räume sind leer und leblos. Besonders schlimm haben die Vandalen in den oberen Stockwerken gewütet, fast alles ist hier kurz und klein geschlagen.
Wie konnte das mit diesem einst so glanzvollen Baudenkmal so weit kommen? Nur wenige Meter entfernt schimmert das Schloss Schönhausen rosafarben und frisch renoviert durch die Bäume. Es gehört zu demselben denkmalgeschützten Gebäudekomplex wie das ruinierte und verlassene frühere Appartementhaus.
Die Geschichte ist typisch für die architektonischen Relikte der Ostmoderne. Schloss und Schlosspark fiel nach der Wiedervereinigung dem Land Berlin zu. 2005 der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg übergeben, wurde es aufwendig saniert. Das einstige Appartementhaus für Gäste der DDR-Regierung aber fiel mit allen anderen Erweiterungsbauten aus Ostzeiten dem Bund zu. Der zeigte an dem Gebäude kein Interesse. Bis 1995 noch als Restaurant und Hotel genutzt, fand es danach keine neuen Eigentümer. 2005 wurde es dann – noch weitgehend intakt – an einen privaten Investor verkauft, der das Gebäude zum Wohnhaus umbauen und auf dem Grundstück weitere Wohnhäuser errichten wollte. Doch außer der Beantragung eines Bauvorbescheids passierte nichts – Gebäude und Garten blieben schutzlos Verwilderung, Verfall und mutwilliger Zerstörung ausgesetzt. Vielleicht war das auch die Strategie des Investors: ist der Bau erst einmal soweit zerstört, dass eine Instandsetzung nur noch schwer möglich ist, lassen sich die Behörden leichter überzeugen, für solch ein „schäbiges Denkmal“ die Abrissgenehmigung zu erteilen. Bestes Bauland in exklusivster Lage könnte dann mit vielfachem Gewinn veräußert werden.
Lange sahen Denkmal- und Bauamt dem rapiden Verfall des denkmalgeschützten Bauwerks untätig und ohnmächtig zu. Doch die Abrissgenehmigung erteilten sie nicht. Irgendwann gab der Investor auf. Ende 2008 wurde das Gebäude weiterverkauft.
Rettung in Sicht
Nun sollen dort wieder komfortable Eigentumswohnungen entstehen. Doch der neue Eigentümer, der Nürnberger Bauträger Terraplan verpflichtete sich, das ehemalige Gästehaus der Regierung der DDR mitsamt der Kunst am Bau und der Gartenanlage sorgfältig wiederherzustellen. Nicht aus Ostalgie, sondern weil das Gebäude es architektonisch wert ist, betont man. Terraplan ließ den Worten Taten folgen. Ein Potsdamer Architekturbüro wurde beauftragt, die Planungen für die Sanierung und den Umbau des Gebäudes aufzunehmen. Das Unternehmen kontaktierte Walter Womacka, um mit seiner Hilfe Wandbild, Glasfenster und Emaille-Fries wieder im originalgetreuen Zustand zu restaurieren bzw. zu rekonstruieren. Und über den „Förderverein Schloss und Garten Schönhausen“ stellte man den Kontakt zu Karl Kirchner her, der einst die Außenanlagen entwarf.
Am 27. August dieses Jahres schließlich wurde das Umbau- und Sanierungskonzept für das ehemalige Gästehaus der Regierung der DDR in Rahmen eines großen Empfangs Nachbarn, der lokalen Politik und vielen einst am Bau und Betrieb dieses Hauses beteiligten Menschen vorgestellt. Auch der Verkauf der Wohnungen hat mittlerweile begonnen. Es scheint so, als hätte dieses außergewöhnliche Bauwerk im Schlosspark Schönhausen anders als so viele andere Objekte der Ostmoderne rechtzeitig die rettende Hand gefunden. Jemanden, der aus dem Westen auch Richtung Osten schaut.
httpvh://www.youtube.com/watch?v=-NemRBgTJ2k
Wer weitere Details zur Sanierung des Gästehauses im/am Schlosspark Schönhausen in Pankow wissen möchte oder sich für eine der Wohnungen interessiert, kann diese Infos hier direkt anfordern.
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„Staatsempfang in Honnis Gästehaus“ – Empfang zur Präsentation des Umbau- und Sanierungskonzeptes für das ehemalige Gästehaus der DDR in Pankow
„Auf Du mit Königin und Máximo Líder“ – Das Umbau- und Sanierungskonzeptes für das ehemalige Gästehaus der DDR in Pankow
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