„Ich bitte binnen sechs Wochen um Entwürfe für ein Theater mit drei Rängen für etwa 2.700 Personen, 15 – 16 m Bühnenbreite, Orchester für 120 Musiker und entsprechende Nebenräume bei höchstens drei Millionen Baukosten und möglichst guter Ausnutzung des wertvollsten Straßenlandes für mein Grundstück zwischen Kurfürstendamm (Nr. 193 und 194) und Lietzenburger Straße“. Mit diesen knappen Worten lud der Berliner Bankier und Unternehmer Fedor Berg Anfang 1910 die besten Architekten Deutschlands und Österreichs zum Entwurfswettbewerb für seine „neue große Oper Berlin“. In bester Charlottenburger Lage wollte Berg das größte Opernhaus der Welt erbauen, finanziert durch die Ausgabe von Anleihen und Anteilsscheinen und dann als private Aktiengesellschaft betrieben. Selbst in den USA wurde für das Vorhaben geworben, aber es fanden sich einfach nicht genug musikbegeisterte und risikofreudige Investoren. Berg begrub seine Opernpläne – nur um wenig später eine neue nicht minder spektakuläre Idee für sein brachliegendes Areal am Kudamm aus dem Hut zu zaubern.
Jetzt schwebte ihm ein riesiges Luxushotel vor, das erste seiner Art im jungen Berliner Westen. Ein Edel-Quartier sollte es sein, wie es die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Gar ein „neuer Typus des weltstädtischen Wohn- und Gasthauses vornehmsten Stils“, wie in einer Werbebroschüre stand. Ähnlich einem amerikanischen Boardinghouse vor allem auf die Bedürfnisse jener Gäste ausgerichtet, die länger als nur ein paar Tage verweilen. Bergs Zielgruppe war klar umrissen: die Reichen und die sehr Reichen. Und in deren Kielwasser natürlich auch die Schönen und Berühmten. Berg wollte einen Boarding-Palast schaffen, der seiner so anspruchsvollen wie zahlungskräftigen Klientel eine „wahrhaft geniale Vereinigung des gesamten raffinierten und luxuriösen Komforts“ bot, den man sich nur vorstellen konnte.
Das „Adlon des Westens“
Zur Verwirklichung seiner Visionen verpflichtete er niemand geringeren als den Baumeister jenes kurz zuvor eröffneten Hotels, das bis heute als die Mutter aller Berliner Nobelherbergen gilt: den „Adlon“-Architekten Robert Leibnitz. Dessen Entwurf sah für das über ein Hektar große und fast zweihundert Meter tiefe Grundstück ein imposantes Gebäudeensemble vor, das sich um drei ineinander übergehende Innenhöfe gruppierte. Die repräsentativen Räume des Residenzhotels plante Leibnitz vor allesamt im Erdgeschoss des Komplexes. Bis zu fünf Meter hohen Decken und die charakteristischen, bodentiefen Rundbogenfenster sorgten hier für ein apartes und lichtes Ambiente, das dem Flair des „Adlon“ am Pariser Platz in nichts nachstand. Prächtige Fest- und Lesesäle, weitläufige Wandelhallen, ein luxuriöser Wellness-Bereich mit Badeanstalt, feine Cafés und Restaurants sowie – als besonderes Highlight und Reminiszenz an das Vorbild aus den USA – eine stillvolle „American Bar“ boten den betuchten Gästen alle erdenkbaren Annehmlichkeiten.
Die mehr als 600 exquisit eingerichteten Suiten befanden sich in den vier Obergeschossen. Sie erstreckten sich zumeist über mehrere Zimmer. Eine ganze Heerschaar von Hausdienern stand bereit, der verwöhnten Kundschaft jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Unter dem Dach gab es auch Kammern für weniger solvente Klienten – einfacher möbliert und ohne persönlichen Butlerservice.
Der Traum zerplatzt
Die Finanzierung des Projekts schien gesichert. Einen Großteil der notwendigen Mittel wollte Fedor Berg aus eigener Tasche aufbringen. 1911 begannen die Bauarbeiten. Bereits im folgenden Jahr nahm das Appartement-Hotel den Betrieb in den ersten fertiggestellten Gebäudeflügeln am Kurfürstendamm und an der Lietzenburger Straße auf.
Aber die Baukosten waren aus dem Ruder gelaufen. Noch schlimmer: es kamen nur wenige jener begüterten internationalen Gäste in Haus, auf deren Kaufkraft Berg gesetzt hatte. Der Bankier hatte sich verkalkuliert. Noch vor der vollständigen Fertigstellung des Boarding-Palasts musste Berg 1913 Konkurs anmelden. Der Kuckuck versiegelte die Türen, kurz darauf versteigerte der Gerichtsvollzieher das edle, neuwertige Mobiliar zu Dumpingpreisen.
Dreizehn Monate später wagte ein mutiger Dresdner Hotelier den Neustart. Werbewirksam widmete er das zum klassischen Grandhotel umgebaute Gebäude einem elitären Braunschweiger Blaublüter mit familiären Verbindungen ins englische Königshaus: Ernst August (III.) von Hannover, Herzog von Cumberland wurde zum Namensgeber des Hotels. Doch es war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um ein 700-Betten-Haus der Luxusklasse zu eröffnen: im Sommer 1914 brach der erste Weltkrieg aus und der Hotelbetrieb zusammen.
Heimstatt für Wumba und Fiskus
Der Staat übernahm das ungenutzte Gebäude, das ehemalige „Hotel Cumberland“ hieß nun „Haus Cumberland“. Hektisch richtete man es her für das „Kaiserliche Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt“ – kurz „Wumba“. Von hier aus versorgte man nun die deutschen Truppen mit Nachschub bis zum Ende der Kampfes im Jahr 1918. Auch danach blieb der Komplex in öffentlicher Hand, erst genutzt als Reichswirtschaftsministerium, dann als Postdirektion und schließlich als Statistisches Reichsamt. Einzelne Trakte vermietete man allerdings unter. So fand hier in den goldenen Zwanzigern das „Palmenhaus“-Theater ein Zuhause und präsentierte im prachtvollen Festsaal an der Lietzenburger Straße die neuesten Revuen von Starkomponist Rudolf Nelson. Auf der anderen Seite des Hofes vergnügten sich derweil die Berliner im Kabarett „Blauer Vogel“.
Nach der Machtübernahme verstanden die Nazis dann überhaupt keinen Spaß und vertrieben die Amüsierbetriebe aus Bergs einstigem Palast. In der Folge zogen verschiedene Ämter der Finanzverwaltung ein. Auch jene Behörde fand hier später ihren Sitz, die maßgeblich an der systematischen Ausplünderung der Berliner Juden beteiligt war: die Oberfinanzkasse des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg. Allerdings war die mit diesem legalisierten Raub vorrangig befasste untergeordnete Dienststelle, die berüchtigte „Vermögensverwertungsstelle“, nicht hier am Kudamm sondern in Moabit ansässig.
Im Gegensatz zum echten „Adlon“ und den meisten anderen Berliner Grand Hotels überlebte das „Cumberland“ die Wirren und Nachwehen des zweiten Weltkriegs. Dennoch blieb es trotz bester Lage an der berühmten Flaniermeile Westberlins ein eher freudloses Haus. Fest in den Händen des Fiskus diente es zunächst dem Landesfinanzamt, dann der Oberfinanzdirektion Berlin als Hauptquartier. Für lange Zeit war das „Filmtheater Berlin“ da der einzige Lichtblick. Das Kino nutzte ab 1951 den großen Festsaal für seine Vorführungen. Bis zu 600 Cineasten fanden bis Anfang der 1980er Platz. Das Lichtspielhaus war dabei durchaus seiner Zeit voraus: die qualmenden Filmliebhaber trennte man von den nichtrauchenden Kinogängern durch eine Glaswand. „Raucherloge“ hieß das damals noch.
Späte Karriere als Traumfabrik
Erst nachdem 2002 der letzte Finanzbeamte das mittlerweile denkmalgeschützte Gemäuer verlassen hatte, blitzte dort dann und wann wieder ein wenig Glanz und Glamour auf. Wer eine außergewöhnliche Location für Modeschauen, Party und Firmenevents suchte, für den galt das „Cumberland“ nun als Geheimtipp. Es dauerte nicht lang, da machte das Haus auch beim Film „Karriere“. In mehreren Filmproduktionen mimte es souverän seine angestammte Rolle als elegantes Luxushotel. Zum Beispiel als „Hotel Brecker“ im Hollywood-Streifen „Die Bourne Verschwörung“ (2004) an der Seite von Stars wie Matt Damon, Franka Potente und Brian Cox. Oder zuletzt als „Hotel Lux“ in Leander-Haußmanns aktuellem Film mit Bully Herbig in der Hauptrolle. Kinostart für „Hotel Lux“ ist übrigens im Herbst 2011.
Aber das wahre Leben wollte so richtig nicht zurückkehren an den Kurfürstendamm 193/194 – allen vollmundigen Versprechungen und glänzenden Prospekte zum Trotz. Erst jetzt scheint sich daran wirklich etwas zu ändern.
Lesetipps bzw. weitere Posts zum „Haus Cumbeland“
Weiter zu Teil 2: Das „Cumberland“ – Wohnen im Adlon des Westens – Details zum Sanierungs- und Nutzungskonzept sowie zu den hochwertigen Eigentumswohnungen im denkmalgeschützten „Haus Cumberland“
Eloquente Bleibe im Wilden Westen – Frühe Farbaufnahmen aus dem Boarding-Palast