Sechs Fahrspuren dick ist das Asphaltband. Beginnt das rote Ampelmännchen zu früh seine Schicht, bietet auf halber Strecke nur eine kleine, vom Verkehr umtoste Insel kurzfristig Asyl. Wer die Breite Straße an der Ecke Warnemünder Straße auf Schuster Rappen überquert, mag kaum glauben, das Schmargendorf sich mal als Luftkurort für lungenkranke Hauptstädter versuchte.
Gut, das ist mittlerweile rund 130 Jahre her. Zu jener Zeit ist der heute zum Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf zählende Stadtteil noch ein ländlicher Flecken, weit vor den Toren Berlins irgendwo am Rande des Grunewald gelegen. Auch die Breite Straße heißt noch Dorfstraße, ist unbefestigt und nur in der östlichen Hälfte, wo sie den Anger umschloss, so richtig weit. Ende des 19. platzt dann Berlin aus allen Nähten. Gespeist durch Industrialisierung und nationale Euphorie flutet ein immer stärker anschwellender Menschenstrom die erste gesamtdeutsche Hauptstadt. Die Zuzügler brauchen Wohnungen, Industrie- und Gewerbeflächen, Platz dafür gibt es nur außerhalb der damaligen Stadtgrenzen. Zügig werden die Territorien der umliegenden Landgemeinden und Städte mit Bahnlinien und Chausseen erschlossen. Ab 1890 erfasst dieser Bau- und Siedlungsboom auch Schmargendorf. In den Häusern beidseits der Dorfstraße reibt man sich die Hände, denn die eigenen Äcker mutieren zu teurem Bauland. Bauherren und Terraingesellschaften reißen sich um diese Flächen. Sie wollen darauf ganze Stadtquartiere und ausgedehnte Villenviertel neu zu errichten.
Mit der märkischen Idylle ist es nun vorbei, Schmargendorf verändert sich rasant. Aus dem Bauerndorf erwächst eine wohlhabende Berliner Vorstadt. Die Dorfstraße – 1891 zunächst in Hauptstraße und dann 1904 in Breite Straße umgetauft – wird zur wichtigsten Geschäftsstraße Schmargendorfs. Viele der alten Bauernhäuser rund um den einstigen Dorfanger weichen mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftsgebäuden. Ihre im typischen Stilmix der späten Kaiserzeit gestylten Fassaden bringen (klein)städtisches Flair in die Breite Straße.
Während die oberen Etagen i.d.R. der Wohnnutzung vorbehalten bleiben, etabliert sich im Parterre ein vielfältiges Universum an Einzelhandelsgeschäften. Hofseitig werden die ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude wie Stallungen, Speicher und Remisen um- und ausgebaut und z.T. auch ergänzt. Die ehemals landwirtschaftlichen „Schmargendörfer Höfe“ mutieren zu geschäftigen Gewerbehöfen. Sie dienen einer stetig wachsenden Zahl von Handwerksbetrieben aller Couleur und diversen kleinen Manufakturen als Werkstatt, Lager und Produktionsstätte. Trotz einiger Kriegsschäden prägen die mannigfaltige Mischnutzung und der dörflich/kleinstädtische Charakter die Breite Straße bis weit in die Nachkriegszeit.
Bis Anfang der 1960er Jahre das Auto Maß aller Dinge wird. Für den optimalen Verkehrsfluß ziehen Westberliner Planer und Entscheider am Reißbrett einen Strich: Die Breite Straße wird zur sechsspurigen Verkehrsader ausgebaut. Der neuen Straßenführung fallen der Dorfanger im östlichen und die südliche Häuserzeile mitsamt der rückwärtigen Hofareale im westlichen Teil der Breiten Straße zum Opfer. Die Stelle der abgerissenen Bauten aus der Gründerzeit nimmt ein spröder Gebäuderiegel mit vorgepflanzten Ladenpavillons ein.
Schräg gegenüber spielt jüngst der vorerst letzte Akt: auf dem Grundstück Breite Straße 23 macht die Abrissbirne erst in diesem Jahr das ehemalige Haus des Milchpächters Franz Balz platt. Noch im 19. Jahrhundert errichtet war es eines der letzten alten Bauerhäuser an der Breiten Straße. Auch die bis dahin erhalten gebliebenen zuletzt u.a. als Garagen genutzten Stallungen im hinteren Teil des Grundstückes werden zerstört. Der Platz wird gebraucht für den Neubau eines Mehrfamilienhauses und einer Stadtvilla.
Nur noch wenige der einst für die Breite Straße so typischen gewerblich genutzten „Schmargendorfer Höfe“ sind bis dato erhalten. Die nachfolgende kleine Kollektion von historischen Fotografien aus den 1950ern und aktuellen, im März 2017 aufgenommenen Bildern ist daher nicht nur eine Erinnerung an Vielfalt und Bedeutung dieser Hofbereiche für den alten Kern Schmargendorfs, sondern auch ein Plädoyer für den Erhalt dieser noch verbliebenen Ensembles.