So richtig schön wird er wohl nie werden, der Berliner Alexanderplatz. Das ist vielleicht auch nicht wirklich wichtig. Denn was den Alex ausmacht, ist das Leben, das hier tobt. Seit jeher gehört der Platz zu den zentralen und beliebtesten Meetingpoints der Stadt. Wer sich heute hier verabredet, trifft sich unter den kreisenden Planeten der Weltzeituhr. Oder an der Nuttenbrosche.
Bunt, grell und ein wenig kitschig
Nuttenbrosche ? So bezeichnet die ebenso derbe wie sensible Berliner Schnauze die eigenwillige Brunnenanlage direkt vor dem Galeria-Kaufhaus. Seit vierzig Jahren sprudeln dort feine Fontänen aus siebzehn mit Kupferblech verkleideten Stahlschalen. Wie Blättern auf ihren Stengeln thronen diese Schalen auf metallenen Säulen, die sich in einer kaskadenförmigen Spirale bis zu sechs Metern hoch aus dem inneren der beiden kreisrunden Brunnenbecken emporranken. Blumen, Pflanzen, Vögel in allen Regenbogenfarben zieren das Emaillefries, dass sich rund um die Außenwand des inneren Beckens windet. Für das Auge ein willkommener Farbtupfer in der steinernen Monotonie des Platzes. Kommt man dem Brunnen näher, fängt es an zwischen Kupfer und Wassertropfen zu funkeln: rote und grüne Glaskristalle, in Gold gefasst, sind da zwischen den Brunnensäulen eingelassen. Sie glitzern in der Sonne. Vielleicht ist das alles eine Spur zu grell, zu bunt, zu überladen und auch ein bisschen altmodisch – aber irgendwie doch auch auf besondere Weise anziehend schön. Wie der glitzernde Modeschmuck einer nicht mehr ganz taufrischen Bordsteinschwalbe. Wie eine „Nuttenbrosche“ eben.
Fotogalerie „Womackas Nuttenbrosche“ – Alle Fotos © 2010 Sven Hoch. – Zum Start auf ein Bild klicken!
Offiziell heißt das Feuchtgebiet auf dem Alex allerdings „Brunnen der Völkerfreundschaft“. Geplant wurde es – der schwulstige Name lässt es vermuten – im Zuge der „sozialistischen Erneuerung“ der Stadtmitte, die sich Ende der 60er Jahre auch den Alex vornahm. Die SED-Bosse wollten damals etwas Besonderes für den Platz: Wasserspiele sollten her. Mit der Gestaltung des Springbrunnens betraute man Walter Womacka, zu jener Zeit quasi Monopolist für baugebundene Kunst im Arbeiter- und Bauernstaat. Der Maler und Glaskünstler, überzeugtes SED-Mitglied und Intimus von Staatschef Walter Ulbricht, war bereits zuvor eng in die Gestaltung der Neubauten rund um den Alexanderplatz eingebunden gewesen, hatte z.B. bereits 1964 die berühmte „Bauchbinde“ am Haus des Lehrers geschaffen, das 125 Meter lange Mosaikfries „Unser Leben“.
Womacka: Mehr als ein „Staatskünstler“
Wie kaum ein anderer verstand es Womacka, mit seinen Wandmalereien, Mosaiken und Glasfenstern seine politischen und weltanschaulichen Überzeugungen plakativ und optimistisch auszudrücken. Unverblümte Propaganda für das SED-Regime werfen ihm seine Kritiker bis heute vor, nennen ihn „Staatskünstler“ oder „Honeckers Hofmaler“. Doch nicht verkennen sollte man, dass seine mitunter dekorativen Werke nicht nur bei den Partei-Oberen, sondern auch beim „gemeinen“ Volk beliebt waren und Womacka selbst aus der nur vom schnöden Mammon regierten und damit garantiert gegen jegliche sozialistische Ideologie immunen Schweiz Aufträge erhielt. Wie auch immer, der „Brunnen der Völkerfreundschaft“ ist – sieht man von der kruden Namensgebung ab – frei von offenkundiger Verherrlichung des Sozialismus. Womackas Entwurf für das Zusammenspiel von Emaille, Stein, Kupfer, Stahl und Wasser strahlt mit seinem bunten Design und Materialmix eher eine allgemeine Lebensfreude aus. Mancher Zeitgenosse mag eine so üppige Vielfalt an Formen und Farben als „kitschig“ empfunden. Ausgerechnet die bunten Glasperlen aber, die dem Brunnen seinen typisch berlinerischen Spitznamen einbrachten, sind in Womackas ursprünglichen Plänen gar nicht vorgesehen gewesen. Sie wurden erst nachträglich auf ausdrücklichen Wunsch der SED-Funktionäre integriert, denen der ursprüngliche Vorschlag nicht „glitzernd“ genug war.
Der Nähe ihres Schöpfers zum einstigen DDR-Regime wäre der Nuttenbrosche Mitte der 1990er beinahe zum Verhängnis geworden. Im Systemstreit siegreich geblieben, waren da gerade in Berlin gewisse konservative Kreise eifrig bestrebt, ihren Triumph allen deutlich vor Augen zu führen und alles, was irgendwie nach „Sozialismus“ aussah oder roch, wenn irgend möglich einzureißen, abzumeißeln oder wenigstens zu überstreichen. Ganz oben auf der Liste der Bilderstürmer stand natürlich auch die weithin sichtbare Kunst am Bau des bekennenden Sozialisten Womacka. Dazu kam, dass Investoren rund um das Alexanderplatz-Areal eine Skyscraper-City errichten wollten, denen der Brunnen im Weg stand. Zu guter Letzt nagte der Zahn der Zeit bedenklich an der metallenen Struktur der Wasserspiele. Für das Überleben der Nuttenbrosche gab da niemand mehr einen Pfifferling.
Ringen um Restuarierung
Bekanntlich kam alles anders. Den hochtrabenden Bauplänen ging das Geld noch vor dem ersten Spatenstich aus. Mit der Zeit begann sich das öffentliche Verhältnis zu den künstlerischen Hinterlassenschaften aus der Zeit des „real existierenden Sozialismus“ zu endideologisieren. Viele Werke wurden neu bewertet, eine ganze Reihe sogar unter Denkmalschutz gestellt, darunter auch der Brunnen der Völkerfreundschaft. Schließlich konnten sogar Sponsoren gefunden werden, um die aufwendige Sanierung der Nuttenbrosche zu finanzieren. 2002 wurden die besonders schwierigen Arbeiten an den Schalen und Säulen aus Kupferblech und Stahl dabei von dem Mann durchgeführt, der den Brunnen 31 Jahre zuvor nach den Plänen Walter Womackas bereits mit errichtet hatte: dem Metallgestalter Hans-Joachim Kunsch.
Meeting-Point No. 1
Betrachtet man heute das sanierte Kunstwerk aus den obersten Stockwerken des benachbarten Park-Inn-Hotels, gleicht es einem Stillleben von einer blühenden Seerose. Aber das täuscht. Am und auf dem breiten Steinrand des flachen, äußeren Beckens ist immer Leben, ist immer Bewegung. Hier hocken gestresste Shopper, die einen Moment innehalten bevor es weitergeht bei der Schnäppchenjagd in einem der umliegenden Konsumtempel, schmökern Literaturliebhaber überteuerten Starbucks-Kaffee schlürfend zerschlissene Taschenbücher, verdrücken simsende Teenies hastig ihre in braunen Papiertüten mitgebrachten Cheeseburger-Berge, entkommen agile Kleinkinder ihren anfangssenilen Opas und machen erste Outdoor-Erfahrungen mit dem feuchten Element, versuchen Grillwalker ihre armen Würstchen an den Mann oder die Frau zu bringen, schnorren rumänische Bettelkids mit englischen, französischen, spanischen und deutschen Sprachfetzen um Euros, fangen Touris aus aller Herren Länder unzählige Schnappschüsse auf den Speicherkarten ihrer glänzenden Canons und Nikons ein. Und an heißen Tagen brodelt es selbst innerhalb des Beckens: dann mutieren die silbernen Wasserfontänen aus den Brunnenschalen zur kühlenden Dusche. Einzig die Menschen, die an der Nuttenbrosche gefühlte Ewigkeiten lang auf ihre Verabredungen warten, scheinen sich von dem Trubel nicht anstecken zu lassen: wie Fixsterne am Firmament verharren sie mit suchendem, erwartungsvollen Blick auf ihrem Fleck.
Der bunte Brunnen der Völkerfreundschaft aber scheint bei Berlinern und Berlin-Besuchern beliebter denn je zu sein und selbst der berühmten Weltzeituhr den Rang als Treffpunkt Nr. 1 am Alex abzulaufen. Und sie gehört jetzt auch zum künstlerischen Vermächtnis eines der profiliertesten Maler der DDR: Walter Womacka ist am 18. September 2010 in der deutschen Hauptstadt gestorben.
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„Ostmoderne im Schlosspark Schönhausen“ – Zur Geschichte und Architektur des ehemaligen Gästehaus der DDR in Pankow