Die Internationale Bauausstellung Berlin 1957 – kurz „Interbau 57“ – will ein Zeichen setzen. Ein Symbol für Demokratie und Freiheit soll es sein. Freiheit presst nicht alles in Reih und Glied, in eine steife, lineare, rechtwinklige Geometrie, sondern lässt eine lebendige und natürliche Ordnung entstehen. Eine aufgelockerte, durchgrünte und funktionale Stadtlandschaft mit gutem Wohnklima zum Beispiel – neue Maßstäbe sind gefordert im sozialen Wohnungsbau, mit lichtdurchfluteten Bauten, kühn und zweckmäßig geformt. Die kriegszerstörten Wohnviertel der Vergangenheit haben der Stadt der Zukunft zu weichen. Der Blick geht nicht zurück auf das schale Gestern sondern konzentriert sich voller Optimismus und Energie auf das Heute und Morgen.
Mit der „Interbau 57“ will West-Berlin die Stalinallee im kommunistischen Osten der Stadt in den Schatten stellen – um jeden Preis. 53 Architekten aus 13 Ländern werden bereits 1952 zu einem Wettbewerb eingeladen, um der Welt die Gestaltungskraft des Westens zu demonstrieren, darunter so renommierte Zeitgenossen wie Aalvar Aalto, Walter Gropius, Arne Jacobsen, Wassili Luckhardt, Oscar Niemeyer, Paul Schneider-Esleben, Hans Schwippert und Max Taut. Sie sind allesamt Anhänger der klassischen Moderne, des sog. „Neuen Bauens“.
Was man darunter versteht? Dort, wo der neue Stadtteil liegt, zwischen Tiergarten und Stadtbahntrasse, kann man es sehen. Da ist zuerst einmal das (fast) restlose Beiseitefegen der noch übriggebliebenen Strukturen des alten, wilhelminischen Hansaviertels. Drei Dutzend Häuser wachsen an ihrer Stelle empor, errichtet nach den Vorgaben der internationalen Architekturelite: wenige Flachbauten, vor allem Hochbauten: Zeilenbauten, Scheibenbauten, „Punkt“-Hochhäuser. Zur Ausstellungeröffnung 1957 ist ein Teil der Gebäude bereits fertiggestellt, ein weiterer Teil befindet sich in fortgeschrittenen Baustadien, ein letzter Teil wird gerade begonnen. Die ersten Menschen ziehen schon ein, erhalten praktische Unterweisungen zur Auswahl der Tapeten, Möblierung von Kinderzimmern und der richtigen Ausstattung von Einbauküchen – damit auch die Hausfrau ihr Glück findet.
Beim Festakt zur Eröffnung der „Interbau 57“ zeigt sich der Regierende Bürgermeister Westberlins, Otto Suhr, stolz auf die „Leistungen der westlichen Welt“ und die „demonstrative Dokumentation der Freiheit“. Für das Ostberliner Blatt „Neues Deutschland“ sieht das Ausstellungsgelände im Hansaviertel dagegen aus,“ als habe ein Kind mit Betonklötzen gespielt“.
Heute steht dieses Gebäudeensemble längst unter Denkmalschutz. Unter Fachleuten gilt das südliche Berliner Hansaviertel als Paradebeispiel der klassischen Nachkriegsmoderne, kein Berlin-Reiseführer, der nicht von ihm schwärmt. Tatsächlich ist der kleine Stadtteil ein spannendes Dokument zur städtebaulichen, architektonischen und politischen Weltanschauung in den 1950er Jahren, seiner Entstehungszeit.
Wie Extrakte aus jenem Dokument greifen meine Fotografien einzelne Elemente des Hansaviertels auf – aufgenommen aus meiner ganz persönlichen Perspektive. Alle Bilder sind während mehrerer Streifzüge durch das Hansaviertel im Frühjahr und Sommer 2010 entstanden.
Bildgalerie „Hansa-¼ -Extrakte“ – Alle Fotos: © 2010 Sven Hoch – Zum Start auf ein Bild klicken!