Gigantisch , monströs, schön, hässlich, seiner Zeit voraus, veraltet, weltstädtisch, miefig, historisch kontaminiert, geschichtliche Ikone, heroisch, tragisch, Freude, Trauer, Angst und Wut – die Assoziationen und Emotionen, die der unter Denkmalschutz stehende Gebäudekomplex des Flughafens Tempelhof bei vielen Berlinern und Auswärtigen weckt, sind persönlich, widersprüchlich und unendlich vielfältig.
Ganz bestimmt ist Tempelhof für mich nicht der „schönste Flughafen der Welt“, sorry Mr. Norman Foster. Der Stararchitekt hält ja Tempelhof sogar für die „Mutter aller Flughäfen“. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, denn viele Konzepte, die heute auf Airports weltweit Standard sind wie getrennte Ankunfts- und Abflugebenen, Cargo- und Postterminals, Wartungs- und Verwaltungstrakte sowie angegliederte Kongress- und Hotelbereiche in diesem Gebäudekomplex erstmals miteinander vereinigt.
Bildergalerie „Facetten eines Berliner Kleiderbügels“ – Alle Fotos: © 2010 Sven Hoch – Zum Start auf ein Bild klicken!
Aber beindruckend, imposant geradezu, ist der Bau, keine Frage. Allein die Dimensionen des freitragenden Dachs! Entworfen in einer Zeit als der Luftverkehr mit winzigen Junkers-Blechkisten abgewickelt wurde, würden auch die meisten der heutigen Verkehrsmaschinen noch unter die Konstruktion passen. Überhaupt dieser Flugsteigbereich: stehe ich hier, tauchen vor meinem inneren Auge sofort die historischen Luftbrückenfotos aus den Schulbüchern auf, spielen sich die zigmal gesehenen Szenen aus Billy Wilders 60er-Jahre-Komödie „1, 2, 3“ automatisch ab, beobachte ich John F. Kennedys Ankunft zu seinem legendären Berlin-Besuch. Und ich sehe meinen Vater, wie er Hals über Kopf von hier nach Hause fliegt, nachdem er die überraschende Nachricht von meiner zugegebenermaßen etwas zu frühen Ankunft auf dieser Erde erhalten hatte. Ich bin mir sicher, heute sind es vor allem diese Erinnerungen, Gedanken, Gefühle, Geschichten, die dem Zentralflughafen sein Gesicht, nein seine vielen Gesichter geben, vielmehr als seine manchmal umstrittene Architektur.
Eine davon ist natürlich auch die Geschichte von Ernst Sagebiel, dem Schöpfer Tempelhofs. Der Architekt war bis 1932 im Büro von Ernst Mendelsohn, einem der bedeutendsten Architekten der damaligen Zeit angestellt. Mendelssohns Baustil lässt sich mit den Worten expressionistisch, organisch und verspielt am besten beschreiben. Im Frühjahr 1933 floh er vor den Nazis aus Deutschland, sein bisheriges Leben lag in Trümmern.
Sagebiel dagegen trat sofort nach der Machtergreifung der NSDAP und der SA bei – und schaffte so den Sprung auf die Karriereleiter. Bis in den Krieg hinein setzte er vor allem Bauprojekte für Görings Luftwaffe um, entwarf z.B. das Reichsluftfahrtministerium in der Wilhelmsstraße. In jenem Gebäude sitzt übrigens heute der Bundesfinanzminister und dreht an den Steuerschrauben. Sagebiels Baustil ist hart, geradlinig und funktionell, wird – ein wenig spöttisch – auch „Luftwaffenmoderne“ genannt. Trotz der Dimensionen, trotz aller Monumentalität, die Tempelhof zum „Weltflughafen“ der etwas später Hitlers und Speers wirren Visionen entsprungenen „Welthaupstadt Germania“ machen sollte, wirkt Sagebiels Flughafen ganz und gar nicht wie ein städtebaulicher Fremdkörper, sondern fügt sich – da teile ich, welch Ehre, Norman Fosters Ansichten – „recht behutsam“ in das Stadtbild ein. Tempelhof blieb wie viele andere Projekte Sagebiels unvollendet, als die sich verschlechternde Kriegslage die Fortführung der Baumaßnahmen unmöglich machte. Es war auch eines seiner letzten Projekte. Gebrandmarkt als Nazi-Architekt, erhielt er kaum noch nach dem Krieg so gut wie keine Aufträge mehr. Bis zu seinem Tod 1970 realisierte er nur noch einen einzigen Neubau – ein Bankhaus in München.
Auch Rudolf Böttger hat dem Zentralflughafen sein Gesicht gegeben. Der letzte Flughafenkommandant widersetzte sich in den Apriltagen des Jahres 1945 Hitlers Sprengungsbefehlen, legte den Zentralflughafen nicht in Schutt und Asche. Dafür bezahlt er mit seinem Leben. Tempelhof blieb bis auf die in den letzten Kriegstagen schwer bschädigte Haupthalle weitgehend unversehrt.
Untrennbar verbunden mit diesen Gebäuden sind auch die unzähligen amerikanischen Soldaten, die in Tempelhof fast fünf Jahrzehnte lang taten und diesen Komplex tiefer prägten, als man oberflächlich zu erkennen vermag. Gesichter von Reisenden, von Ankommenden, von Zurückbleibenden: allesamt Tempelhofer Geschichten, noch übertönt von einer Stimme, die dem riesigen Bauwerk mit respektloser Leichtigkeit jegliche Schwere genommen hat: „Berliner Kleiderbügel“ taufte die berüchtigte lockere Berliner Schnauze den Flughafen –angesichts der ausschweifenden Grundrissform einfach ein Volltreffer, dieser „Kosenamen“ für (West-)Berlins einstiges Tor zur Welt.
Es ist ein Kleiderbügel mit vielen Facetten. Wen man sich ein wenig Mühe gibt, kann man sie noch heute entdecken: an der Fassade, in der Haupthalle, in den Kellergewölben und unfertigen Treppenhäusern, vor allem aber in den Erinnerungen und Geschichten der Menschen, die untrennbar mit dem Zentralflughafen in Tempelhof verbunden bleiben.